Durch das Buch von Farina Graßmann sehe ich unseren recht naturbelassenen Garten einmal mehr mit anderen Augen. In „Wunderwelt Totholz. Unterwegs im Lebensraum von Waldkauz, Hirschkäfer und Holunderschwamm“ beschreibt sie in kurzen, verständlichen, zuweilen recht amüsant geschriebenen und außerdem auch noch wunderbar bebilderten Kapiteln die natürlichen Prozesse im Wald: Genauer gesagt geht es um den natürlichen Verfall der Bäume und wie wichtig dies für die gesamte Umwelt ist. Denn Bäume werden für vieles Leben umso interessanter, je älter sie werden und je mehr „Makel“ sie haben. Und das geht mit dem Sterben einher.
Eingangs erläutert Farina Graßmann, was Totholz eigentlich ist und wie das Leben eines Baumes in der Regel verläuft. Dabei stellt sie den natürlichen Waldzyklus und den Zyklus eines Wirtschaftswaldes vor. Sie schreibt: „Im natürlichen Wald leihen sich die Bäume die Nährstoffe vom Waldboden aus. Mit ihrem natürlichen Ableben geben sie zurück, was sie entnommen haben. Das Totholz wird von den Bodenlebewesen zerkleinert und die enthaltenen Nährstoffe werden in den Kreislauf zurückgeführt. Dieser über Jahrtausende bewährte Prozess der Selbstdüngung wird vom Menschen ins Wanken gebracht. Indem wir Bäume fällen und ihr Holz nutzen, unterbrechen wir den Kreislauf.“ Sie gibt in diesem Zusammenhang zu bedenken, dass Totholz liebende Käfer wie der Borkenkäfer oder Buchdrucker nur einem „naturfern bewirtschafteten Forst“ wirklich schaden. In natürlichen Wäldern würden sie vielmehr die Gesundheit des Ökosystems und die Artenvielfalt fördern.
In einem dem Buchdrucker gewidmeten Kapitel geht Farina Graßmann auf das problematische Verhältnis Buchdrucker-Fichte-Wald genauer ein und hat ein eindeutiges Statement: „Der Buchdrucker – Botschafter für natürliche Wälder“. Fichten brauchen ein feuchtes, kühles Klima und haben ihren ursprünglichen Platz im Gebirge. Trotzdem machen sie insgesamt 25 Prozent des Baumbestandes in deutschen Wäldern aus. Sie wachsen also auch vielfach in Regionen, wo sie keine optimalen Bedingungen vorfinden. Die zunehmende Trockenheit stresst und schwächt diese Baumart, sodass der Buchdrucker mit ihm ein sehr leichtes Spiel hat. Farina Graßmann plädiert dafür, den Buchdrucker sein Werk vollbringen und der Natur freien Lauf für die weitere Entwicklung des Waldes zu lassen. Es brauche Zeit, aber Wälder gesunden, wie der Naturpark Bayerischer Wald beweisen würde.
Uhu, Biber und Salamander – Leben im Totholz
Nicht nur Insekten auch viele Vögel, Säugetiere und sogar Amphibien leben mit und im Totholz. Uhu, Specht, Zwergfledermaus und Rötelmaus schätzen natürliche Baumhöhlen für sich und ihren Nachwuchs sehr. Totholz am Wasser oder in feuchteren Gebieten bieten Quartier für Biber und den bedrohten Feuersalamander. Farina Graßmann befasst sich mit diesen Waldbewohnern in spannend aufbereiteten Kapiteln.
Natürlich erfährt man in dem Werk auch einiges über Pilze und Moose, die Bäume besiedeln. Ebenso gibt es ein interessantes Kapitel über Kopfweiden und die Kultur dahinter. Und schließlich, am Ende des Buches gibt es auch noch ein paar Kapitel über Totholz im Garten, Totholzhaufen, Nisthilfen für Insekten und natürliche Zäune.
Totholz im Garten
Was Totholz im Garten anbelangt, scheinen wir einiges richtig machen, um für biologische Diversität zu sorgen. Unseren Kleingarten würde ich als vielfältigen Bauerngarten mit einigen wilden Stellen beschreiben. Die Insektenvielfalt ist recht hoch. Und weil wir naturnah gärtnern, haben wir auch alte Baumstümpfe von alten Obstbäumen stehen und liegen lassen, zum Beispiel für Holzbienen. Jetzt haben wir in diesem Sommer sogar nach gut zehn Jahren Schrebergartenglück erstmals einen Balkenschröter gesehen. Ich dachte erst, es sei ein Hirschkäfer-Weibchen. Aber laut Farina Graßmann sind Hirschkäfer-Weibchen noch etwas größer und vor allem eher bräunlich gefärbt im Gegensatz zum Balkenschröter, der schwarz ist. Verwandt sind sie trotzdem. Beide sind „Schröter“, beide mögen Totholz und zerkleinern (schroten) es. Das geschrotete Holz wird zu Mulm.
Mulm, ein schönes Wort. Ähnlich wie Spunk. Wortschöpferin ist allerdings nicht Pipi Langstrumpf. Der Begriff ist schon seit dem 17. Jh. gebräuchlich, stammt wohl aus dem Niederdeutschen und wird in Verbindung mit Wäldern für die Zersetzung von Totholz verwendet. Genauer gesagt handelt es sich bei Mulm um ein Sediment, das entsteht, wenn beispielsweise Insekten Holzspäne verputzen und die Reste davon ausscheiden. Sie reichern auf diese Weise das Material wertvoll an und sind damit ein Teil der natürlichen Humifizierung. Wenn man sie lässt. Auch darauf geht Farina Graßmann umfassend ein.
Fazit: Ein schönes, informatives Sachbuch
Weniger ist mehr – wie in vielen anderen Bereichen trifft das an dieser Stelle wohl auch auf das Eingreifen des Menschen in die Prozesse des Waldes zu. Das zumindest macht Farina Graßmanns Buch deutlich. Leider werden die Wälder weiterhin vorwiegend aus wirtschaftlichen Aspekten betrachtet: Über 127 Millionen Kubikmeter Holz werden jährlich allein in Deutschland verbraucht, so Farina Graßmann und sie bezieht sich dabei auf das Rohstoffmonitoring Wald 2018, FNR. Die Hälfte des Holzes wird verfeuert. Aus der übrigen Hälfte wird unter anderem Papier zum Drucken, Kopieren, für Taschentücher, Küchenrollen oder Toilettenpapier hergestellt. Mit dem Wechsel auf Recycling-Papier könnte ein großer Fortschritt zugunsten der Wälder gemacht werden. Damit hat sie wohl ganz sicher recht. Persönliches Kopfschütteln erzeugen funkelnagelneue Paletten, die neuerdings in den Baumärkten für „Paletten-Möbel“ feilgeboten werden. War da nicht Upcycling der ursprüngliche Gedanke dieser Mode? Aber das nur am Rande. Insgesamt ist „Wunderwelt Totholz. Unterwegs im Lebensraum von Waldkauz, Hirschkäfer und Holunderschwamm“ ein wirklich empfehlenswertes Buch für alle Naturliebhaber. Es ist im Pala-Verlag erschienen und kostet 19,90 Euro. Hier gibt es auch einen Blick ins Buch.