Eine Schneckengeschichte
„Hmmm, es duftet herrlich nach roten Johannisbeeren. Hier ist es schön schattig, hier bleibe ich erst einmal.“ Die Schnecke machte es sich an der Unterseite eines Johannisbeer-Blattes bequem, zog den Kopf ein schlief erst einmal eine Weile. Sie war sehr hübsch, gelb mit schwarzen Streifen. Bis zum Abend wollte sie sich vor der sengenden Sommerhitze verstecken. Gerade als es Zeit wurde, wach zu werden, begann der Johannisbeerstrauch sich mächtig zu rütteln und zu schütteln. „Heee, was ist das denn? Halt, stop! Niiiicht“, rief die Schnecke. Doch es war zu spät. Etwas rupfte die Johannisbeerrispen vom Strauch und hatte dabei auch das Blatt mit der Schnecke erwischt. Sie landete in einem Korb, in dem schon viele Beeren lagen. „Erst einmal still halten“, dachte sich die Schnecke, „dann passiert sicher nichts.“ Sie wurde Beerenschicht für Beerenschicht weiter zugedeckt.
Dann war es eine Schneckenewigkeit ruhig. Da sehr viele Johannisbeeren auf ihr lagen, dachte sie sich, dass sie am besten erst einmal nichts macht. Bis wieder Bewegung in die Beeren kam. „Was ist denn das für ein Plätschern?“ Die Schnecke hörte ein blechernes „Plipp plipp plipp“. Die erste Schicht Beeren wurde gewaschen, von den Stengeln gezupft und in einen Topf zum Entsaften geworfen. Dann kam die zweite Fuhre dran – und mit ihr die Schnecke. „Huuuuuuch, ohooooh“, schnell zog sie den Kopf ein und rutschte für eine Schnecke lauthals, aber für den Menschen natürlich nicht hörbar, ins Spülbecken.
Leichter als die saftigen Beeren trieb sie – plitsch-plitsch – auf dem Wasser. Noch hatte sie sich im Schneckenhaus versteckt. Doch jetzt im kühlen Nass konnte sie nicht anders. Langsam kroch sie wieder aus dem Haus heraus. Etwas verwirrt über alles, was ihr bis jetzt passiert war, überlegte sie wie sie aus dieser überdimensionalen Badewanne herauskommen konnte. Doch damit kam sie nicht weit. Im nächsten Moment schwebte sie hoch in der Luft. Mit großen Stielaugen verfolgte sie, was dann passierte. In ein Glas wurden ein paar nasse Johannisbeer-Blätter hineingelegt. Als dieses kleine Bett gemacht war, wurde die Schnecke darauf abgesetzt. „Also, ich weiß jetzt nicht, was ich davon halten soll“, dachte sich das kleine Kriechtier, mittlerweile vor Aufregung doch ziemlich erschöpft. Doch schlafen war nicht angesagt. Sie schlurfte die Glaswand entlang, um zu sehen, ob es einen Ausgang gab. „Ob man hier rauskommt?“ Oben am Rand angekommen, stieß sie auf eine durchsichtige Folie, die mit einem Gummiring fixiert war. „Immerhin sind hier Löcher drin, damit Luft reinkommt“, stellte die Schnecke beruhigt fest. Aber als sie merkte, dass es kein Rauskommen gab, schlurfte sie zurück zu den Blättern, verkroch sich ins hübsche Häuschen und schlief eine Zeit.
Als sie am anderen Morgen aufwachte, stellte sie fest, dass sie nicht geträumt hatte. Sie machte sich allmählich Gedanken, ob sie je den Garten wiedersehen würde. Abenteuer sind ja gut und schön, aber so langsam hatte sie dann doch die Schneckennase voll. Plötzlich wurde das Glas hochgehoben und in einen dunklen Sack gepackt. „Hey, was ist denn das schon wieder? Ach, mich hört ja doch keiner.“ Eine Menschen-Viertelstunde später wurde das Glas aus dem Rucksack genommen und zu einem Taglilienbeet gebracht. Als die Schnecke die Lilien entdeckte, schlug ihr kleines Herz heftiger. „Hurra“, juchzte sie vor Freude. Und sie hatte auch allen Grund dazu. Denn kurz darauf wurde sie auf eines der Blätter gesetzt. „Ich bin wieder da“, rief sie so laut, dass sich alle anderen Schnecken im Lilienbeet verwundert umsahen. Schließlich hatten diese ja nichts von der Entführung aus dem Schrebergarten mitbekommen. Die kleine Schnecke aber schlingerte in Schneckenschlangenlinien das Blatt hinunter und war froh, wieder zu Hause zu sein.